Max Raabe,deutscher Sänger im Stimmfach Bariton und Mitbegründer sowie Leiter des Palast Orchesters in Berlin und der seine ersten Gesangserfahrungen in einem Kirchenkinderchor sammelte, im Interview über seine Sicht auf Stil und was Stil in der Musik bedeutet.
Ist Stil erlernbar oder ist er angeboren?
Eine Mischung aus beidem. Natürlich ist ein stilvolles Elternhaus stilprägend, aber auch in den stilvollen Familien sieht man Menschen, die stillos glücklich sind.
Was ist für Sie ein stilvolles Auftreten?
Das ist eher eine Frage der inneren Haltung. Die Rücksichtnahme im Alltag ist meiner Meinung nach weitaus wichtiger als ein locker sitzendes Einstecktuch.
Kommt Stil demzufolge von innen?
Stil hat nicht nur etwas mit einer offensichtlichen Haltung und einem bestimmten Kleidungsstil zu tun. Stil ist auch oder vor allem der Umgang im Alltag: Die Tür aufhalten, Manieren bei Tisch, älteren Menschen einen Platz in der Bahn anbieten, Rücksichtnahme im Straßenverkehr – das ist für mich die größte Stilfrage.
Also hat Stil so gar nichts mit Kleidung zu tun?
Natürlich kann man erkennen, ob eine Frau oder ein Mann Geschmack bei der Kleiderwahl beweisen kann. Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass er oder sie auch Stil hat. Dieser zeigt sich erst auf den zweiten Blick, durch das Verhalten.
Kommen wir zu Ihnen. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
Was meine Bühnengarderobe betrifft, so ist sie meiner Faulheit in Kleidungsfragen geschuldet (lacht). Wenn man immer im Frack auftritt, braucht man sich nie Gedanken machen, was man abends anzieht – das ist doch sehr praktisch.
Wie kamen Sie zum Anzug?
Sakkos waren in meinem Freundeskreis immer ein selbstverständliches Kleidungsstück, eine Form der Lässigkeit, die wir uns einfach gegönnt haben. Da war der Weg zum Anzug nicht mehr weit.
Und in Jeans?
Mit 15 Jahren habe ich meine letzte Jeans getragen. Ich finde sie einfach nicht bequem – im Winter zu kalt und im Sommer zu warm.
Tragen Sie eigentlich auch mal eine Jogginghose?
Da ich nicht jogge, bin ich auch nicht im Besitz einer Jogginghose.
Was ist für Sie stilvolle Musik?
Es gibt nur gute und schlechte Musik.
Bitte definieren Sie das genauer.
Gute Musik hört man nicht zwangsläufig in schicken Konzerthäusern. Man kann grandiose Kompositionen miserabel aufführen, und es gibt Alleinunterhalter oder Straßenmusiker, die es schaffen, einen Zauber zu kreieren, es schaffen, ergreifend zu musizieren. Man kann nicht pauschalisieren, dass Klassik automatisch gut und Popmusik oder Schlager automatisch schlecht ist. Hier verhält es sich wie mit dem Essen.
Inwiefern?
Was ist gutes und was ist schlechtes Essen? Man muss reinbeißen, um es herauszufinden. Das ist bei der Musik nicht anders. Nur über die Optik lässt sich Stil nicht erkennen – so ist das mit allen Dingen, die mit Stil einhergehen. Nur über den Stempel allein kann man keine Qualität garantieren.
Wie wichtig ist der eigene Stil für den Erfolg als Künstler?
Die Haltung, die man an den Tag legt, ist wichtig. Dass man die Musik ernst nimmt, nicht sich selbst. Meine Kollegen und ich legen enorm viel Wert auf Probenarbeit und Präzision. Wir sind in unserer Arbeit sehr akribisch. Und das ist eine Haltung, die uns über die Jahre begleitet und am Ende auch weitergebracht hat. Nicht nur an der Oberfläche kratzen, sondern in die Tiefe gehen – nur das zählt und genau das ist die Antwort auf „Was ist Stil?“.