Deutscher Fachverband für Kunst—und Gestaltungstherapie, Dr. Pöppel über den rezeptiven Umgang mit dem Bild in der Kunsttherapie und über visuelle Kommunikation im Alltag (z.B. in Sozialen Medien oder SMS) bis hin zum Potential eines eigenen Besuches in einer Kunstausstellung.
Dr. Sonja Pöppel
Dipl. Päd., Kunsttherapeutin, Therapieausbildung in Morphologischer Intensivberatung, Promotion über Rezeptive Kunsttherapie an der Universität zu Köln.
Foto: Roland Breitschuh
Wie hat sich unsere Kommunikation in den vergangenen Jahren verändert?
Es zeichnet sich in unserer Gesellschaft eine zunehmende Hinwendung zur visuellen Kommunikation ab. Die Schrift- und Wortsprache wird dabei durch eine Bildsprache ersetzt. Wir konnten das in den letzten Jahren an verschiedenen Stellen beobachten, wie beispielsweise der ansteigenden Verwendung von Bildern für die Berichterstattung in den Medien. Informationen, die durch ein Bild „belegt“ sind, scheinen eine größere Beweiskraft zu haben.
Am deutlichsten ist der Wandel hin zu einer visuellen Kommunikation an der Nutzung von Smartphones erkennbar: An die Stelle von geschriebenen Kurznachrichten tritt verstärkt eine Kommunikation über Icons und Emoticons – das heißt kleinen Bildern, die konventionalisiert sind und Nachrichten und Stimmungen vermitteln sollen. Es ist möglich, ganze Dialoge ausschließlich über diese Bildbotschaften zu führen, ohne ein einziges Wort zu verwenden. Hinzu kommen die Millionen Bilder und Videos, die täglich über die Messenger-Apps verschickt werden.
Was kann man sich unter therapeutischer Kunstrezeption vorstellen?
Die therapeutische Kunstrezeption macht sich die heilende Kraft zunutze, die von Kunstwerken ausgehen kann und die vom Betrachter in einem aktiven Wahrnehmungsprozess erfahren und erlebt wird. Kunstwerke können gezielt eingesetzt werden, um therapeutische Prozesse zu initiieren und zu begleiten.
Je nach Kunstwerk und Indikation gibt es ganz unterschiedliche Möglichkeiten, wie Kunstwerke wirken: Sie können eine entspannende und entlastende Wirkung auf ihre Betrachter ausüben, aber auch Fragen aufwerfen und eine Auseinandersetzung anregen, die zu neuen Einsichten und Erkenntnissen in Bezug auf die eigene Person führt.
Wie kamen Sie auf dieses Thema?
Ich habe an der Universität Köln im Hauptfach Kunsttherapie und im Nebenfach Museumspädagogik studiert. Die rezeptive Kunsttherapie war für mich eine Möglichkeit, diese beiden Fächer zu verbinden. Die Kunsttherapie arbeitet vorrangig mit kreativen Gestaltungsprozessen.
Während meiner Arbeit in verschiedenen Museen ist mir jedoch immer wieder aufgefallen, dass auch Kunstwerke das Potenzial besitzen, Veränderungsprozesse bei ihren Betrachtern anzuregen. Diese Wirkung von Kunstwerken hat mich so fasziniert, dass ich sie zunächst in meiner Diplomarbeit und später in meiner Doktorarbeit erforscht habe.
Wie ist der rezeptive Umgang mit dem Bild in der Kunsttherapie über visuelle Kommunikation im Alltag möglich?
Bilder sind in unserem Alltag allgegenwärtig und beeinflussen alle Bereiche unseres Lebens. In den Bildwissenschaften ist gar von einer „Bilderflut“ die Rede, mit der wir täglich konfrontiert sind. Wir sind von Bildern umgeben, die wir zum Teil nur für Bruchteile von Sekunden wahrnehmen und die dennoch unser Fühlen und Handeln prägen.
In der rezeptiven Kunsttherapie werden die Klienten bei einer bewussten Wahrnehmung von Kunstwerken begleitet.
Bilder wahrzunehmen und treffend zu interpretieren, ist eine Fähigkeit, die erlernbar ist. Angesichts der Hinwendung zu einer visuellen Kommunikation ist eine solche Bildkompetenz beziehungsweise visuelle Kompetenz essenziell. Kunstrezeption kann dafür zum Beispiel einen Beitrag leisten, indem die über die Kunstbetrachtung erworbenen Fähigkeiten auch im Alltag zu einer bewussteren Wahrnehmung visueller Medien und einem reflektierten Umgang mit ihnen befähigen.
In der rezeptiven Kunsttherapie werden die Klienten bei einer bewussten Wahrnehmung von Kunstwerken begleitet und in ihrer Fähigkeit gefördert, in einen Resonanzprozess mit dem Werk zu treten. Ein solcher Wahrnehmungsprozess kann mehrere Stunden dauern und unterscheidet sich in seiner Intensität und Qualität von der Alltagswahrnehmung von Bildern.
Welches Potenzial kann der eigene Besuch einer Kunstausstellung haben?
Viele Menschen schätzen die kontemplative Wirkung der Kunst, gerade im Kunstmuseum, weil hier eine ganz besondere Atmosphäre herrscht. Der Besuch einer Kunstausstellung bedeutet, den Alltag für eine gewisse Zeit hinter sich zu lassen und sich in dieser Zeit einmal nur mit sich selbst und den Werken zu beschäftigen. Das fällt vielen Besuchern gar nicht so leicht, schaut man sich die kurze Verweildauer an, die sie durchschnittlich vor einem Werk verbringen. Inzwischen gibt es aber auch Museumsführungen, die dem Museumsbesucher ein ganz persönliches Kunsterlebnis ermöglichen, wie beispielsweise die „Psychologischen Bildbetrachtungen“ im Rahmen des Projekts „Bilderleben“ an drei Kölner Museen.