Mit Songs wie „Er gehört zu mir“ (1975) und „Marleen“ (1976) wurde Marianne Rosenberg einst zum Schlagerstar. Über 50 Jahre nach ihrem Debüt steht sie immer noch auf der Bühne. Im Interview spricht sie über ihr bisheriges Leben, das Älterwerden und darüber, ob sie nach so langer Zeit im Rampenlicht manchmal ans Aufhören denkt.
Marianne Rosenberg
“Alte Menschen in unserer Gesellschaft sind oftmals Ausgestoßene, Vereinsamte, Diskriminierte.”
Die blicken auf eine 50-jährige Bühnenkarriere zurück und mit Ihrer Tournee im Herbst 2022 zeigen Sie auch, dass diese noch nicht vorbei ist. Wie fühlt sich das nach all den Jahren für Sie an?
Es fühlt sich gut an, das zu tun, wozu man eine Liebe hat. Musik ist mein Leben. Das Privileg und das Glück zu haben, über so viele Jahre Musik machen zu dürfen, nichts anderes machen zu müssen, weil das Geld nicht reicht, ist ein Geschenk. Ein Geschenk meines Publikums an mich. Danke, dass ich so viele Leben, so viele Wege mit meiner Musik begleiten durfte.
Als Musikerin kann ich sagen, dass ich selbst die Messlatte in jungen und vor allem in mittleren Jahren, auf dem Höhepunkt meiner Leistungsfähigkeit, sehr hoch gehängt habe. Das hat zur Folge, dass ich heute, älter geworden, an dieser Latte gemessen werde und dass es nicht immer leicht ist, diese zu erreichen, da die Natur uns Grenzen setzt, in allem, was wir tun. Tänzer oder auch Opernsänger erreichen diese Grenze sehr viel früher als ich, aber auch ich spüre sie sehr deutlich. Lieblingsautoren, wie z. B. Hermann Hesse, helfen mir darüber hinweg und zu mehr Selbstbewusstsein in Sachen fortschreitender Zeit. Ich entwickle eine Stärke, eine Art Emanzipation, was das Alter und die damit verbundene gesellschaftliche Erwartungshaltung anbelangt. Hier muss ich Hesse vielleicht kurz zitieren:
„Jung sein und Gutes tun ist leicht,
Und von allem Gemeinen entfernt sein;
Aber lächeln, wenn schon der Herzschlag schleicht,
Das will gelernt sein.
Und wem’s gelingt,
der ist nicht alt,
Der steht noch hell in Flammen
Und biegt mit seiner Faust Gewalt
Die Pole der Welt zusammen.“
Mir ist das gelungen mit dem Album „Im Namen der Liebe“. In dieser Zeit war ich gefühlt alterslos. Wobei ich es mit Zahlen sowieso nicht habe. Mir hat noch nie jemand imponiert, nur weil sie/er jung oder alt war. Alt ist z. B. erst bedauernswert, wenn jemand versucht, jung zu sein, obwohl er nun mal älter ist. Es ist der Mensch, der fasziniert oder eben nicht.
Als Künstlerin sind Sie es gewohnt, auf Knopfdruck zu performen. Was ist Ihr Geheimrezept, um nach einer Tournee oder auch einem anstrengenden Tag im Studio wieder Erholung zu finden?
Ich gehöre nicht zu denen, die immer können, und schon gar nicht auf Knopfdruck. Mental bin ich mit einer Veranstaltung mindestens eine Woche vor dieser beschäftigt. Da ich immer wieder auch andere Programme spiele, muss ich immer wieder ganz akut Texte und die Abläufe der Songs lernen. Dann kommen die Proben hinzu, und das ist gut so, denn so habe ich weniger Zeit, Lampenfieber zu entwickeln. Danach, die Erholung, das Entspannen, das ist Ihre Frage, und die ist nicht leicht zu beantworten. Ich habe Schwierigkeiten mit Erholung, mit Entspannung. Techniken kenne ich genug. Yoga, autogenes Training, Meditation, Sport … Ja, diese ganzen Selbstoptimierungsprogramme, ich kenne sie, ich wende sie auch immer wieder an, aber ich weiß nicht, ob ich wirklich runterkomme danach. Udo Jürgens hat wunderbare Songs geschrieben, einer dieser Songs handelt davon, wie er nach einem Konzert allein im Hotelzimmer ist und Mühe hat, den Adrenalinspiegel wieder zu senken, danach, mit sich allein. Mir geht es ähnlich. Früher war ich danach unterwegs mit Kollegen. Das mache ich heute nicht mehr. Wenn ich auf Tour bin, bin ich sehr diszipliniert. Ob das dem Alter geschuldet ist? Ja, auch.
An Ihrem neuen Album „Im Namen der Liebe“ war auch Ihr 27-jähriger Sohn beteiligt. Würden Sie sagen, dass er dazu beiträgt, musikalisch am Puls der Zeit zu bleiben?
Ja, das würde ich sagen. Er ist gegenwärtiger und für mich auch Zukunft, das liegt auf der Hand. Ich habe gerade ein neues Album aufgenommen, an dem er auch mitarbeitet. Es heißt „DIVA“ und es ist eine Hommage an die Pop- und Discosängerinnen der 70er und 80er. Er kennt die meisten Songs nicht im Original und geht folglich die Musik ganz anders an als ich. Ich bin eine Art wandelndes Musikarchiv vergangener Jahrzehnte und bringe sehr viel Erfahrung mit. Zusammen bilden wir eine wunderbare Synthese und können uns gemeinsam Musik anders erschließen als allein. Das geschieht sehr spielerisch und leicht, denn wir unterliegen keinerlei Auflagen oder Vorgaben.
Vom Älterwerden wird kein Mensch verschont. Welche Vorteile hat das Leben jenseits der 60?
Na gut, dann mach ich mal weiter mit Worten, die uns das Herz verdunkeln: „verschont“ und „jenseits“.
Wer am Prozess des Lebens teil hat, wird sterben. Der Weg dorthin führt über den Verfall des Körpers. Klar, wir alle versuchen alles, um diesen Verfall aufzuhalten und voreinander zu verbergen. Wird jemand (auch jenseits der 60) krank, denken wir oft genug, oh, zu wenig Sport, zu viel geraucht, zu viel Übergewicht, zu spät zum Arzt … Damit wir uns nicht eingestehen müssen, auch wir könnten erkranken oder sehr schnell alt werden, benutzen wir Schuldzuweisungen und glauben, wenn wir nur alles richtig machen, wird uns nichts dergleichen zustoßen. Pustekuchen! Den körperlichen Verfall können wir nicht aufhalten. Wir können ein paar Weichen stellen, dass es vielleicht nicht allzu schlimm wird oder nicht so schnell geht.
Das Leben jenseits der 60 hat gemessen am Leben jenseits der 30, 40 oder 50 absolut keinen Vorteil. Ich würde sagen, der Nachteil ist, dass, wenn man das Leben liebt, man sich eher am Ende dessen befindet. Was natürlich zur Folge hat, dass man dem Anfang wiederum näher ist. Wer noch nicht so alt ist, versteht es vielleicht nicht oder hält es für eine Absurdität. Aber so geht es mir gerade, ich empfinde das Leben als einen Kreis, und je mehr ich auf das Ende zusteuere, desto näher komme ich dem Anfang. Klingt verrückt, vielleicht muss man meine Musik hören, um es zu verstehen. Es ist ein Gefühl der absoluten Lebendigkeit, Gegenwärtigkeit.
Stellen Sie auch Nachteile fest?
Na klar, und ob, aber ich bin eine Kämpferin und setze mich mit viel Kreativität darüber hinweg. Vor allem lasse ich mir nicht aufoktroyieren, was eine Frau in meinem Alter zu tun oder zu lassen habe. Das ganze Leben über müssen wir damit umgehen, dass Frauen über ihr Aussehen beurteilt werden und Nachteile haben, wenn sie sich dem gängigen Diktat nicht beugen. Wenn Sie so wollen, fordert das Altern, gerade als Frau zu altern, eine neue Art der Emanzipation heraus. Kein Kanzler wurde je so diskriminiert wie die Ex-Kanzlerin aufgrund ihres Alters und ihres Äußeren.
Sie blicken auf viele Jahre voller Lebenserfahrung zurück. Würden Sie rückblickend Dinge anders machen oder Entscheidungen anders treffen?
Diese Frage wurde mir oft gestellt und oft genug habe ich zu schnell geantwortet, ich täte alles genau so, wie ich es zuvor tat. Wenn ich wirklich darüber nachdenke, weiß ich, warum ich nie wirklich darüber nachgedacht habe. Die Tatsache, dass ich niemals die Chance hätte, dieses Leben noch einmal zu leben, und das Bewusstsein darüber verhindern eine wirkliche Antwort. Zumindest kann ich sagen, dass ich mit nichts hadere, nicht denke, ich sei an der Gabelung eines Weges falsch abgebogen. Das macht sich doch schon mal gut, oder?
Andere Menschen in Ihrem Alter genießen mitunter schon den Ruhestand. Ist bei Ihnen daran zu denken?
Wissen Sie, unsere Gesellschaft ist keine Gesellschaft, in der Menschen in Ruhe und in Würde altern können. Menschen in unserer Gesellschaft unterliegen einem Optimierungszwang und einem Jugendwahn. Alte Menschen in unserer Gesellschaft sind oftmals Ausgestoßene, Vereinsamte, Diskriminierte. Allein dieses Wort „Ruhestand“. Bedeutet es doch, den Menschen aus dem, was sie/er ihr/sein Leben lang tat, was sie/ihn ausfüllte, ausmachte, herauszustellen, ruhigzustellen. Das ist ein Schock für viele Menschen. Der sogenannte „verdiente Ruhestand“ – möge ihn jeder begehen, die/der sich danach sehnt, und bei einigen Berufen ist das sicherlich auch angebracht – ist gewissermaßen ein „Aus“, ein „Du spielst nicht mehr mit“. Das ist es, was sehr viele Menschen denken und empfinden. Darüber spricht nur keiner …
Wenn Sie mich fragen, wie lange ich meinem Beruf, meiner Berufung, noch nachgehen möchte, sage ich Ihnen, man hat bis gerade eben einer Frau in meinem Alter die Regierungsverantwortung für ein ganzes Land anvertraut. Da können Sie mal glauben, dass ich im Vergleich dazu das bisschen Musik fast nebenbei mache …
Im Namen der Liebe
Die Tournee im Herbst 2022
05.09.2022 Dresden – Konzertsaal im Kulturpalast
07.09.2022 Hamburg – Barclays Arena
08.09.2022 Leipzig – Gewandhaus zu Leipzig
10.09.2022 Hannover – Swiss Life Hall
11.09.2022 Bochum – RuhrCongress
12.09.2022 Köln – LANXESS Arena
14.09.2022 München – Isarphilharmonie
16.09.2022 Frankfurt am Main – myticket Jahrhunderthalle
17.09.2022 Nürnberg – Meistersingerhalle
18.09.2022 Berlin – Tempodrom