Ben Melzer wurde 1987 als Yvonne geboren. Mit 23 Jahren beginnt er seinen geschlechts-angleichenden Weg. Er arbeitet weltweit als Model, ist Fitness-Coach und Transgender-Aktivist. Als Model war er der erste Transmann auf dem Cover des Lifestyle-Magazins „Men’s Health“.
Ben, wann hast du dich entschlossen dein Buch „Endlich Ben“ zu schreiben, und war der Schreibeprozess eine Art Therapie für dich?
Im Nachhinein war das Schreiben sicherlich wie eine Therapie für mich, jedoch hatte ich das gar nicht erwartet. Der Grund, weshalb ich dieses Buch schreiben wollte war primär, um Aufklärung zu leisten. Denn als ich gemerkt habe, das irgendetwas an mir anders ist, war ich auf der Suche nach solchen Büchern, und ich hätte mir gewünscht mal Klartext über das Thema zu lesen.
Ist es komisch für dich, dass jeder deine intimsten Gedanken und Erfahrungen nachlesen kann?
Mittlerweile ist es nicht mehr komisch, direkt nach der Fertigstellung des Buches habe ich mich aber wirklich sehr seltsam dabei gefühlt, zu wissen, dass jeder Leser an meiner Gedankenwelt teilnehmen kann.
Wie empfindest du die Thematik Transgender in der Gesellschaft?
Es fehlen auf jeden Fall noch einige Schritte die wir als Gesellschaft gehen müssen, in Richtung Akzeptanz. Natürlich sind die Menschen gegenüber dem Thema offener geworden, doch normal ist es noch lange nicht. Vor allem habe ich das Gefühl, das gerade Transfrauen es etwas leichter haben von der Gesellschaft akzeptiert zu werden, während Transmänner mit mehr Vorurteilen zu kämpfen haben.
Ich wünsche mir, dass wir uns irgendwann komplett davon entfernen können Menschen als „Trans“ zu betiteln und wir als ganz normale Menschen gesehen werden.
Die Thematik sollte viel früher behandelt werden, im Kindesalter zum Beispiel, damit die Scheu genommen wird über dieses Thema zu sprechen. Man könnte Betroffenen so viel Leid ersparen, wenn man so für mehr Verständnis sorgen würde.
Siehst du dich als Vorreiter oder Vorbild?
Ich habe mich mittlerweile mit der Vorbildfunktion, die mir zugeteilt wurde, abgefunden, und kann verstehen, dass man sich eine Art Leitfigur wünscht. Es war nie meine Intention Vorbild zu sein, ich wollte einfach das beste aus meiner Situation, die ich mir nicht ausgesucht habe, machen. Der Rest kam von ganz allein.
Welche Tipps hast du für Menschen, die, wie du, im „falschen“ Körper stecken?
Das gute ist, heute gibt es viel mehr Möglichkeiten Unterstützung zu erhalten und sich über das Thema zu informieren. Man findet so viele Gleichgesinnte, die das gleiche durchmachen, so dass man sich bewusst wird man ist nicht der einzige der in dieser Situation steckt, und das hilft schon wahnsinnig viel. Man kann sich austauschen und man findet Leute, die die Umwandlung erfolgreich hinter sich gebracht haben – und das macht Hoffnung und Mut. Abgesehen davon ist mein Rat: Darüber sprechen und die Gefühle vom Anderssein nicht in sich reinfressen. Wenn es euch schwerfällt, dann zeigt euren Eltern die Geschichten von anderen Transgendern, das kann Außenstehenden helfen besser zu verstehen was in einem vorgeht.
Was bedeutet Ästhetik für dich? Hast du eine persönliche Idealvorstellung?
Absolut, ich glaube jeder hat eine Art Schönheitsideal, das man mehr oder weniger anstrebt. Für mich bedeutet Ästhetik einen gesunden, muskulösen männlichen Körper zu haben, für den ich auch hart arbeite. Ich bin der Meinung, wenn dich etwas an deinem Körper stört oder du unglücklich bist, dann musst du das ändern. Das eigene Selbstbewusstsein sollte aufgrund von Äußerlichkeiten nie so sehr leiden, dass man sich selbst nicht mehr lieben kann oder nicht mehr in den Spiegel schauen kann. Trotz allem finde ich, dass man bei dem Schönheitswahn heutzutage auch ein bisschen die Kirche im Dorf lassen muss.
Findest du unsere Gesellschaft legt zu großen Wert auf Äußerlichkeiten und jagt unrealistischen Schönheitsidealen hinterher?
Absolut! Wir leben in einer sehr oberflächlichen Welt, besonders durch die sozialen Netzwerke haben viele Menschen eine unrealistische Vorstellung von Perfektion, man sieht ja fast nur Bilder ohne Makel, dabei ist der Großteil der Bilder bearbeitet. Besonders an Tagen, an denen man nicht so gut drauf ist oder sich unwohl fühlt und man dann mit der perfekten Scheinwelt konfrontiert wird, ist es schwer. Deshalb versuche ich mir zwischendrin ein paar Tage Social Media freie Tage zu gönnen.
Empfindest du eine Art Druck der Öffentlichkeit bestimmte Schönheitsideale erfüllen zu müssen, wie siehst du das als Mann?
Druck ist auf jeden Fall da, mittlerweile zum Glück nicht mehr ganz so extrem wie früher, ich war ein richtiger Sport- und Ernährungsfanatiker, doch ich versuche das nicht mehr so sehr an mich heranzulassen, denn mir ist bewusst geworden, dass es so viel wichtigeres im Leben gibt, als sich jeden Tag mit seinem Aussehen zu beschäftigen.
Hast du Verbesserungsvorschläge für den Prozess der Geschlechtsumwandlung:
Besonders was die damit verbundene Bürokratie angeht sollte man eine Veränderung anstreben. Denn sobald der Psychologe, der einen begleitet, die Behandlung absegnet, und mit der Hormontherapie begonnen wird, dauert der Rest noch sehr, sehr lange, vor allem die Personenstands- und Namensänderung. Aber der Körper beginnt bereits sich zu verändern, die Hormone zeigen Wirkung und man sieht vielleicht schon nicht mehr aus wie eine Frau, doch im Ausweis steht nach wie vor weiblich. Das kann in manchen Situationen sehr unangenehm werden.
Zum anderen Dauern die Anträge was die Kostenübernahme der angleichenden Operationen viel zu lange, und man sitzt wortwörtlich auf heißen Kohlen, bevor einem die Entscheidung der Kassen mitgeteilt wird.
Die Eingriffe, die du hinter dir hast, zählen zu den kompliziertesten Operationen in der plastischen Chirurgie: Gab es Momente, in denen du daran gezweifelt hast, ob die Risiken und Schmerzen es wert sind? Was war deine größte Angst?
Die größte Angst hatte ich vor der großen Geschlechtsumwandlungsoperation, die bis zu neun Stunden dauern kann – ich hatte einfach Angst nicht mehr aufzuwachen. Aber ansonsten habe ich während dem gesamten, langen Weg nicht einmal an meiner Entscheidung gezweifelt. Das ist der Preis, den ich gezahlt habe, um endlich im richtigen Körper anzukommen, und ich würde es immer wieder tun.
Nach so vielen Operationen bleiben Narben zurück, stören sie dich?
Ich muss leider zugeben, dass die Narben mich stören. Besonders durch das Training dehnen sie sich auch und sind größer geworden. Meine große Narbe am Unterarm habe ich durch Tattoos ein bisschen kaschieren können, und bei Fotoshootings greife ich manchmal auf Concealer zurück. Es ist nicht so, dass ich diese Narbe wie eine Medaille präsentiere, sondern ich lieber vermeiden möchte, dass man mich ständig darauf anspricht.
Wie gehst du mit Makeln um?
Grundsätzlich bin ich mit mir im Reinen. Klar gibt es die ein oder andere Stelle, an der ich noch arbeite, denn ich bin sehr perfektionistisch, kleine Makel hier und da gibt es aber immer. Letztendlich bin ich aber einfach froh, dass ich endlich ich bin, keine Schmerzen habe und es mir gut geht.
Was würdest du heute rückblickend anders machen?
Ich würde mir selbst raten, ein wenig geduldiger und nachsichtiger mit meinem Umfeld zu sein. Für mich selbst war der Weg, für den ich mich entschieden habe glasklar, doch als ausstehende Person kann das ein großer Schock sein und ist nicht so leicht zu verdauen.
Was würde der heutige Ben der Yvonne von damals raten?
Mein Rat an Yvonne, und alle anderen in derselben Situation: Es wird alles gut, du bist auf dem richtigen Weg, du schaffst das.
Buchtipp
Endlich Ben
Transgender –
Mein Weg vom Mädchen zum Mann
Yvonne ist ein echter Wildfang – und gibt sich selbst Jungennamen. Mit “Mädchenkram” kann sie nichts anfangen. In der Pubertät erkennt sie: Sie liebt Mädchen, fühlt sich aber nicht lesbisch. Sie spürt, dass sie im falschen Körper lebt. Doch es braucht noch weitere fünf Jahre, bis sich Yvonne auf den langen, schmerzvollen Weg der Angleichung begibt. Nach einer Hormonbehandlung und 14 Operationen ist Ben in seinem Männerleben angekommen. Sein sportliches Talent setzt er nun als Fitness-Coach und Model ein. Benjamin Mel-zer spricht unverblümt über seinen schmerzhaften Weg, misslungene Penis-Prothe-sen-Operationen, seelische Tiefs und wie er sich wieder an die Oberfläche kämpfte. Mit seiner Geschichte möchte er anderen Betroffenen und Eltern von Transkindern Mut machen.
ISBN: 978-3-95910-252-0